Lichtblicke im Tunnel der Bildungspolitik

Seit über einem Jahr kämpfen wir gegen eine Pandemie, die die Probleme im Bildungsbereich unserer Politik nicht nur offengelegt, sondern auch potenziert hat. Diese gegenwärtige Situation wird flankiert von einer Welt von morgen, in der laut einer Studie des Weltwirtschaftsforums 65 Prozent der heutigen Grundschüler in Berufen arbeiten werden, die es bisher noch nicht gibt. Werden unsere Kinder auf diese Zukunft vorbereitet? Nein, das werden sie nicht. Und sie reagieren darauf mit Unzufriedenheit und Angst. Laut dem UNICEF-Bericht zur Lage der Kinder in Deutschland 2021 gehen jedes 5. Mädchen und jeder 7. Junge im Alter von 15 Jahren ohne Zuversicht in die Zukunft. Wir sind als viertgrößte Volkswirtschaft der Welt nicht in der Lage die Chancengleichheit in der Bildung zu verbessern. Nicht wie in den USA, England oder vielen anderen Ländern, in denen der private Sektor der Bildung durch seine qualitative Abgrenzung zu staatlichen Bildungseinrichtungen dominiert. Bei uns geht man umsonst in die Schule und kann auch umsonst studieren. Dafür kommt die Gemeinschaft der Steuerzahler auf. Und dennoch öffnet sich bei uns die Schere zwischen Bildungsgewinnern und -verlierern immer weiter. Das liegt nicht nur an den privaten Lebensbedingungen bildungsarmer oder sozial und wirtschaftlich schwacher Familien. Es liegt vor allem an der mangelnden Infrastruktur in den Schulen, dem digitalen Rückstand, den unflexiblen Strukturen und Haltungen, der ungenügenden Lehreraus- und -fortbildung. Seit über einem Jahr finden wir zu keiner Vision, zu keiner Zukunftsstrategie, zu keinen pragmatischen Lösungen für Defizite und Probleme, die zum größten Teil schon seit langer Zeit existieren. Und so hängt es von der Initiative und Leistungsbereitschaft der einzelnen Schulleiter und Lehrer ab, ob unsere Kinder beispielsweise geregelten Onlineunterricht haben oder eben nicht. Was ist los mit unseren Bildungspolitikern, Ministerialbeamten, Entscheidungsträgern? Warum sind wir nicht in der Lage die Bildung für unsere Kinder auch in Zukunft und für die Zukunft zu sichern, indem wir umdenken, die notwendigen Änderungen vornehmen und einen pragmatischeren Ansatz entwickeln? 

 

Meines Erachtens gibt es dafür drei wesentliche Gründe. Zum einen unsere Gesetzgebung, die bis ins kleinste Detail alles reguliert und kontrolliert. Unsere Beamten sind es gewohnt alles, wirklich alles, vorgeben und entscheiden zu dürfen. Damit geht eine große Machtfülle einher. Schulleiter und Lehrer hingegen haben nicht genug Entscheidungsfreiheit, um schnell und unbürokratisch dort einzugreifen und zu ändern, wo es dringend notwendig wäre. Aus diesem Grund empfiehlt der Aktionsrat anerkannter Bildungsforscher der Politik, den Schulleitern mehr Durchgriffs- und Gestaltungsmöglichkeiten einzuräumen und ihnen vor allem qualitätsgesicherte Aus- und Weiterbildungsprogramme für Führungskräfte anzubieten. Gute Führung in Kindergärten und Schulen hat bessere Bildung zur Folge, was sich wiederum auf das wirtschaftliche Wachstum und den Wohlstand unseres Landes auswirkt. Der Aktionsrat empfiehlt auch erweitere Schulleiterstrukturen ab einer gewissen Größe der Einrichtung, damit Führungsaufgaben auf mehrere Personen verteilt werden. Grundsätzlich fordern die Bildungsforscher eine Entlastung von administrativen Aufgaben. Doch der Kultusminister und seine Juristen haben die Befugnis jedem Entscheidungsbereich von Bildungsinstitutionen vorzuschreiben, was zu tun bzw. nicht zu tun ist. Seine Beamten erlassen die Bescheide, überwachen und kontrollieren das Geschehen. Das gilt auch für die Lehrpläne, die bis ins kleinste Detail festlegen, was der Lehrer unterrichten soll und wie er Arbeiten zu korrigieren hat. Doch nicht nur der Wissenserwerb ist mit Sicht auf die Anforderungen der Zukunft zielführend, sondern vor allem der Weg zum Ziel. Unsere Kinder müssen lernen lösungsorientiert zu denken und zu handeln. Gerade in einer digitalen Welt sind Teamfähigkeit und die soziale Interaktion wichtige Bestandteile einer neuen Auslegung von notwendigen Lernzielen. Lehrpläne müssen entstaubt werden, neue Inhalte wie digitale Kompetenz, Wirtschaft und Finanzen, Kulturkompetenz und Empathie müssen Platz finden. Projekte sollten den Frontalunterricht erweitern und ergänzen. Die Schule „Campus di Monaco“ in München bietet solch neue Schwerpunkte. Das spezielle Konzept der Schule, das Montessoripädagogik und Migrationspädagogik verbindet, ist auf den Lernprozess ausgerichtet und lehrt kulturelle Bildung, Sprachförderung in vielerlei Hinsicht und Engagement. Damit ist es laut Schulleiterin Antonia Veramendi einzigartig in Deutschland!  

 

Zum zweiten unser Föderalismus: er fördert den Wettbewerb unter den Bundesländern auch dergestalt, dass der Bund gegen die Länder steht, die Länder untereinander nicht zusammenarbeiten und jedes Land sein eigenes Süppchen kocht. Bildung ist ideologisiert und abhängig von der jeweiligen Politik des Bundeslandes, mal rot, mal grün, mal schwarz ausgelegt. Und so kommt es zu enormen Unterschieden in Qualität, Leistungsanspruch und Chancengleichheit. In der Kultusministerkonferenz ist es offensichtlich nicht möglich zu gemeinsamen Handlungsstrategien zu finden und diese umzusetzen. Der Datenschutz verhindert Innovation und Fortschritt, in einer Welt, in der alle alles posten. Länder wie Australien haben seit Generationen Online Unterricht, Dänemark seit 2001, Uruguay seit 2007. Wie gehen diese Länder mit Datenschutz um? Bei uns werden mangels digitaler Ausstattung auch keine Leistungsstanderhebungen vorgenommen, um zu erfahren, ob Schüler mittlerweile Lerndefizite haben und wie diese mit geeigneten und entsprechend angepassten Maßnahmen behoben werden können. Das Aufholprogramm von Bundesfamilienministerin Franziska Giffey soll sehr vielen Ansprüchen gerecht werden, ist für viele finanziell zu mager bemessen und wird wegen fehlender Bewertungsgrundlagen als wenig effiziente „Gießkanne“ wahrgenommen. Die Angst unserer Beamten vor Wirtschaft, Wettbewerb und Haftung führt dazu, lieber nicht mit Bildungsunternehmen und Bildungsorganisationen zusammenarbeiten, um ihre Kompetenzen zu nutzen. Dabei gibt so viele private Initiativen und Anbieter, die sehr viel verbessern könnten. Doch auch diese Ausschreibungen werden, wenn überhaupt, kompliziert und viel zu langsam auf den Weg gebracht. Das gilt auch für die Umsetzung des Digitalpakts, der weiterhin seinen bürokratischen Hürden zum Opfer fällt. Dringlichkeit scheint eine unbekannte Größe zu sein. Das Projekt „Chance Ganztag“ für mehr Bildungsgerechtigkeit ist ein Lichtblick, auch wenn es wieder einmal nur ein Projekt ist. Bildungseinrichtungen in München können sich seit kurzem mit Kooperations- und Förderpartnern zusammentun, um die Nachmittage nach dem Kindergarten und der Schule im sogenannten kooperativen Ganztag sinnvoller zu gestalten. Die Kinder können in Zukunft von Angeboten profitieren, die von ihren jeweiligen Institutionen ausgesucht werden. Die Qualität der Angebote wird vom Referat für Bildung und Sport geprüft. Damit sind wir immer noch weit vom Ganztagsmodell im angelsächsischen Sinn entfernt, aber das Bildungsnetzwerk München mit seinen 16 Stiftungen bietet die Chance Ungleichheiten im Lernangebot für Kinder abzubauen, die Schule auch als zweites Zuhause zu begreifen und die Vereinbarkeit von Schule und Familie zu verbessern.

 

Zuletzt geht es um die Fähigkeit komplexe Probleme anzugehen und zu positiven Lösungen zu führen. Unsere Volksvertreter sind nicht gewohnt in einer disruptiven Umwelt neu zu denken und innovativ zu handeln. Sie haben die Vergangenheit und Gegenwart so lange verlängert, bis sie die Zukunft aus den Augen verloren haben. Es fehlen ihnen Problemlösungskompetenz und Management Skills, die in dieser besonderen Zeit funktionieren. Sie denken nicht kreativ und unabhängig, sondern schauen auf das Althergebrachte und sichern sich ab. Sie sind nicht mutig und risikobereit, denn bis jetzt konnten sie in einem sicheren und äußerst wohlhabenden Land agieren. Es war einfach nicht notwendig, sich mit dem vorhandenen System auseinanderzusetzen und vor allem abzuschätzen, wie sich die Lage in Zukunft abbilden wird. Der gegenwärtige Stand der Digitalisierung erlaubt es den Verantwortlichen auch nicht, Daten so erheben zu können, dass sie eine interdisziplinäre Kommunikation und Zusammenarbeit der Gremien und Ministerien ermöglichen. Selbst Gesundheitsämter verwenden unterschiedliche Plattformen, die nicht kompatibel sind, und arbeiten daher mit Post und Faxgerät. Liebe Bildungspolitiker und Bildungspragmatiker, angesichts dieser Verhältnisse, wünsche ich mir nichts mehr, als dass sie über den Tellerrand schauen, ihren ganzen Mut zusammennehmen und die Zukunft willkommen heißen. Bitte einen großen Wurf und nicht wieder Flickwerk! Entwickeln sie ein Gesamtkonzept, nicht mit ihren Bürokraten, sondern mit Lehrern, Bildungs- und IT-Experten. Auch Schüler und Eltern können gute Ideen haben! Lassen sie die Schulen nicht allein und gestalten sie die Zukunft unserer Kinder. Das ist die Aufgabe der Bildungspolitik. 

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