Wann werden wir endlich die Zukunft akzeptieren?

„You cannot have it all“ pflegte meine Vorgesetzte während eines Praktikums bei einer renommierten Versicherung in Manhattan zu sagen, wenn ich wieder einmal alles auf einmal wollte. Sie hatte sich von der Reinigungskraft zur Finanzdirektorin hochgearbeitet und ist für mich der personifizierte amerikanische Traum und bis heute ein Vorbild.

 

In Deutschland habe ich in Gesprächen mit Eltern oft den Eindruck, dass auch sie für ihren Nachwuchs alles wollen. Die Kinder sollen eine umfassende und klassische Allgemeinbildung erhalten. Wenn möglich, ohne größere Anstrengung, ohne Einschränkung, und ohne Kosten. Dabei achten sie auf die Work-Life-Balance ihrer Sprösslinge und kritisieren den Stress in der heutigen Leistungsgesellschaft. Gleichzeitig erwarten sie, dass die Jugendlichen in kürzester Zeit zu English Native Speakern avancieren und ihre digitale Kompetenz perfektionieren. Gern auch erst nach dem Abitur – der Stress! - oder vielleicht im Rahmen eines Gap Years. Danach wünschen sich immer mehr Eltern ein Studium an einer renommierten Universität im Ausland, allerdings in den meisten Fällen ohne jede Vorkenntnis der tatsächlichen Qualität der Universitäten oder der jeweiligen Bewerbungsanforderungen. Ein Masterstudium soll das Bild abrunden und entlässt die jungen Menschen im Vergleich zu konkurrierenden Ländern erst relativ spät in die Realität und Arbeitswelt.

 

Woher kommt diese ambivalente, gefährlich-gelassene Einstellung, wenn es um die Ausbildung und Zukunftsfähigkeit unserer Kinder geht? Warum realisieren wir nicht, dass wir aktuell oft zu wenig und Vieles viel zu spät von unseren Kindern verlangen?
Offensichtlich wird ausgeblendet, dass alle unsere Kinder in einem Zeitalter des großen Wandels leben und eine unvorhersehbare Zukunft vor sich haben. Eine Zukunft, in der künstliche Intelligenz, Globalisierung und Migration unsere Arbeitswelt quasi täglich, zum Teil disruptiv, verändern. An diese unwägbare Zukunft denken viele Eltern und die Schule nicht, und verschieben die Vorbereitung darauf auf die Zeit irgendwann nach dem Studium! Und genau da liegt das Problem der Bildungspolitik in Deutschland, in Europa. Die Misere hat eine Zukunftsforscherin auf dem Panel des Forums für den Frauen Karriere Index in München im November 2018 sehr gut auf den Punkt gebracht: „Stattdessen lernen sie Latein für eine Zukunft, die es nicht mehr geben wird“.

 

Das Ergebnis: Nur sehr, sehr wenige Abiturienten sind in der Lage, die Bewerbungsanforderungen guter internationaler Universitäten zu erfüllen, wenn sie die wichtigen Jahre vor dem Abitur ungenutzt haben verstreichen lassen und nie geübt und gelernt haben, im Wettbewerb zu bestehen.
 
Ein, wenn auch sehr später Anfang Richtung Zukunft, könnte jetzt gemacht werden: Via Digitalpakt der Bundesregierung sollen Deutschlands Schulen bis zu 25.000 Euro für Laptops, Notebooks und Tablets erhalten können. Aber selbst das ist nicht sicher, da sich Bund und Länder um die Entscheidungshoheit streiten! Und ob unsere Lehrer bis dahin in der Lage sind, mit digitalen Devices zu unterrichten, sei dahingestellt, ganz abgesehen vom allgemeinen Lehrermangel.
 

 

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