Stellen Sie sich vor sie wachen eines Morgens auf und ihre Kinder gehen nicht mehr ins Gymnasium, sondern in die internationale Schule.
Sie gehen sehr gerne dort hin und ihre kleine Tochter und ihre Freundinnen weinen sogar am letzten Schultag vor den großen Ferien, weil sie nun sechs Wochen nicht mehr in die Schule gehen dürfen. Und weil ihre Kinder jetzt den ganzen Tag Unterricht haben, sind Sie nicht mehr Drill Mom, die jeden Nachmittag versucht ihre Kinder an den Schreibtisch zu bringen, damit sie ihre Hausaufgaben machen und wiederholen, was sie am Vormittag nicht verstanden haben. Sie sind auch nicht mehr Helikopter Mom, weil sie möchten, daß ihre Kinder Sport treiben oder ein Instrument lernen und nicht ständig vor der Glotze oder dem iPad sitzen. Und Sie sind noch nicht einmal mehr Raben Mom, weil sie arbeiten wollen oder schlichtweg müssen, wie meine Freundin. Sie sind einfach nur Mom, ohne Label und Schuld, ohne Stigmatisierung und Fehlleitung.
Denn ihre Kinder verbringen jetzt den ganzen Tag in der Schule mit mehr Unterricht, mehr Sport und vielen anderen Aktivitäten und Lerninhalten, sie erleben mehr Unterstützung, mehr Struktur, mehr Erziehung, mehr Förderung, aber auch mehr Forderung. Ihre Kinder kommen um 16 Uhr und wenn sie älter sind um 17 Uhr nach Hause, sie sind erfüllt vom Tag, wahrscheinlich ein bißchen müde, aber gut gelaunt und zufrieden, denn sie konnten in der Schule auch viel Zeit mit ihren Freunden verbringen. Vielleicht üben sie im Anschluss nach der Schule noch ein Hobby aus, vielleicht setzen sie sich auch gleich hin und machen ihre Hausaufgaben mit der Unterstützung eines Laptops, den sie seit der siebten Klasse benutzen dürfen und auf dem sie schon viel gelernt haben. Am Abend beschäftigen sie sich mit einem Schulwettbewerb, üben für eine Präsentation oder den internationalen Chor oder konferieren mit anderen Model-United- Nations Mitgliedern über die kommenden Konferenzen und über die Reden, die sie dann halten werden.
Später dann, wenn sie zwei oder drei Jahre vor dem internationalen Abitur stehen, beginnen sie sich für die Bewerbung an internationalen Universitäten vorzubereiten. Sie starten eine regelrechte Marketingstrategie, sie reflektieren ihre Stärken und Schwächen, üben für die erforderlichen Tests, verbessern ihre Leistungen, schaffen Wettbewerbsvorteile und ihr eigenes Profil, mit dem sie ihre Wunschuniversität überzeugen wollen, daß sie der geeignete Kandidat und Bewerber für eine erfolgreiche Aufnahme sind. Gleichzeitig reifen sie zu jungen und beeindruckenden Persönlichkeiten, denn der Realitätsschock setzt rechtzeitig ein und lehrt sie, daß man sich anstrengen muß, wenn man etwas erreichen möchte.
Aber wie geht es meiner Freundin? Meine Freundin hat zwei Kinder und hat relativ früh ihren Ehemann verloren. Auch ihre Eltern sind bereits früh verstorben und es war sofort allen klar, daß ihr Beruf und ihr Gehalt für den Lebensunterhalt der kleinen Familie reichen mußte. Sie war also in Zukunft Mutter und Vater zugleich, in unserer Familienterminologie „Mapi“ genannt. Und Mapi wurde zur Super Mom und gleichzeitig wurden ihre Kinder zu Super Kids! Mapi mußte den Spagat schaffen zwischen Erziehungsauftrag und finanzieller Versorgung der Familie und die Kinder mußten ab sofort funktionieren! Da gab es schon die Hausaufgabenbetreuung nach der Schule, aber ungenügend, ungeliebt und voller Langweile. Alles andere mussten Super Mom und ihre Super Kids alleine organisieren und bewerkstelligen, denn die Schule war und ist ja vornehmlich ein Ort der Wissensvermittlung, die Erfüllung der Lehrpläne hat oberste Priorität und ansonsten steht man verwirrt zwischen G8 und G9 und lebt zwischen Jammern und Schimpfen. Entschuldigend muß man ergänzen, daß bei uns Schule umsonst ist und wir uns deshalb immer vor Augen halten sollten wie unglaublich gut es uns geht, wenn man bedenkt was Eltern in anderen Ländern für die Schule ihrer Kinder bezahlen müssen.
Aber ist G9 wirklich die Lösung für Kinder, die „länger brauchen“, damit sie mehr Zeit haben, um sich entwickeln zu können, weil die Schule es nicht tut? Ist G8 tatsächlich die Lösung für Kinder die „schneller sind“ und sich ebenfalls Förderung und vielleicht auch mehr Forderung wünschen?
Andere Länder, wie zum Beispiel England, Frankreich, die USA, Australien oder asiatische Länder, machen es uns vor, wie man es nicht immer und überall gut, dafür aber besser machen kann - nicht wenn es um die Allgemeinbildung geht, da bildet das deutsche Gymnasium gut aus - sondern wenn es um Struktur, Wettbewerb, Motivation, Zukunftsorientierung, und Erziehung geht.
Die internationale Schule vereint ihre Ziele und Werte unter dem Dach ihres Lernprofils und zwar für alle Mitglieder der IB Gemeinde, die Schüler, die Lehrer und die Eltern, und hat meines Erachtens Vorbildfunktion, wie es gelingen kann, daß eine Schule mehr Zeit für ihre Kinder hat, individueller auf ihre Schüler eingehen kann und auch Wert auf das Miteinander legt.
Mütter dürfen dann einfach Mutter sein, ob sie zu Hause bleiben oder ob sie arbeiten, und Kinder werden besser aufgefangen in Zeiten der Unruhe oder Unzufriedenheit, wenn sie gerade Zappel-philippe, Langweiler, Nerds oder Streber sind.
In Deutschland hängen wir dem Ideal an, daß Kinder von der Schule kommen, selbständig ihre Hausaufgaben erledigen, danach zum Spielen in den Wald, Park oder Garten gehen und die Mutter zu Hause bleibt und alle umsorgen kann. Wenn dieser ideale Zustand gelebt werden kann, wenn alle damit zufrieden sind, dann ist das wunderbar. Wenn aber dieser Zustand nicht erreicht werden kann, sei es weil es zu Hause Probleme gibt, weil es mit der Schule Probleme gibt, weil es mit der Sprache Probleme gibt, weil es mit der Integration Probleme gibt, dann brauchen wir eine Schule, die weitere Aufgaben übernimmt, damit die Hilfebedürftigen, aber auch die Starken gefördert und gefordert werden.
Die internationale Schule bietet eine Fülle von Beispielen, die unsere Schulen übernehmen könnten und die nicht nur teuer sind, um Zweiflern zu begegnen. Zum Beispiel die Einführung der Community und Service Stunden ab der achten Klasse. Kinder erbringen eine gewisse Anzahl an Sozialstunden, sie müssen ihre Arbeit dokumentieren und erhalten ihr Zeugnis nur mit dem Nachweis dieser Stunden. Unsere Jungs waren ehrenamtliche Paten für Kinder im Kinderheim und haben relativ früh begriffen wie wertvoll eine intakte Familie ist. Ein gutes Beispiel für organisierten, strukturierten und positiven Wettbewerb ist das Personal Projekt in der zehnten Klasse. Die Schüler gestalten, bauen, konzipieren, erfinden, produzieren, organisieren „Etwas“. Jeder Schüler hat einen Lehrer als Berater zur Seite und nur der Prozess wird von den Schülern dokumentiert und von einem Lehrergremium benotet. Die Resultate werden an selbstgebauten Ständen vor den anderen Schülern, den Lehrern und schließlich den Eltern präsentiert, verteidigt und beworben. Es entsteht ein großartiger Kosmos der Kreativität, der Toleranz und der Anerkennung.
Wie ich schon erwähnt hatte, erhalten Kinder ab der siebten Klasse einen Laptop, mit dem sie lernen, Hausaufgaben machen und mit den Lehrern kommunizieren. Nicht Spielen bestimmt die Beschäftigung am Computer, sondern Inhalte. Unsere Jungs konnten nach dem Abitur problemlos alle Anforderungen in Universität und Praktika erfüllen. Und wenn es um das leidige Thema Mobbing geht, dann erzielt der No Blame Ansatz sehr viel schneller positive Ergebnisse, als wenn erst langatmig nachgeprüft und - gedacht wird, ob und wie die Situation in den Griff zu bekommen ist. Es ist die Aufgabe eines jeden solche Vorfälle zu melden, den Petzer gibt es nicht, denn es ist wichtiger dem Opfer sofort zu helfen und den Mobber sofort zu erziehen.
Es gibt noch viele Beispiele, die ich anführen könnte, doch in allen Verbesserungsvorschlägen schwingt der Wunsch nach einer positiven Ausbildung und Erziehung mit. Diese ganzheitliche Ausrichtung der Schulbildung würde sich in einer vielfältigeren und mehrdimensionalen Ausrichtung der Lehr- und Lerninhalte nieder-schlagen und auch die Persönlichkeitsentwicklung eines jeden Schülers beinhalten.
Alles nur Wunschgedanken? Mit mehr Zeit, mehr Initiative und mehr Pragmatismus könnte man so viel erreichen. Die internationalen Schulen kochen auch nur mit Wasser!
Kommentar schreiben